HTWK-Professor Rüdiger Wink verfasste im Auftrag der Bundesregierung den Monitoring-Bericht zum Zustand der Kreativbranche in Deutschland
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz beauftragte auch in diesem Jahr für den Monitoring-Bericht der Kultur- und Kreativwirtschaft die Agentur Goldmedia, die Hamburg Media School sowie den HTWK-Volkswirtschaftsprofessor Rüdiger Wink. Zum dritten Mal erarbeitete das Team darin die wirtschaftlichen Kennzahlen der Kultur- und Kreativwirtschaft in Deutschland und zeigte Trends auf.
Wie geht es der Kultur- und Kreativbranche Deutschlands?
Es zeigt sich ein sehr gemischtes Bild. Bis zur Covid-Pandemie wuchsen fast alle Segmente der Kultur- und Kreativbranche. Dann kam ein tiefer Fall im Jahr 2020, und wir haben nunmehr amtliche Zahlen aus dem Jahr 2021, die insgesamt eine Erholung zeigen, aber nur wenige Segmente erreichen das Vor-Pandemie-Niveau oder wachsen sogar darüber hinaus, wie beispielsweise die Bereiche Software- und Games-Industrie.
Welche Segmente gehören der Kultur- und Kreativbranche an? Sind Umsatz-Unterschiede zu verzeichnen?
Die Kultur- und Kreativbranche weist eine sehr große Vielfalt mit insgesamt elf Teilmärkten auf und reicht von den Darstellenden Künsten über die Verlagswirtschaft und das Design bis zur Werbewirtschaft und Softwareindustrie. Der Kunstmarkt und die Pressewirtschaft wuchsen als einzige Teilmärkte nicht zwischen 2020 und 2021, und die Presse- sowie Rundfunkwirtschaft werden auch im Jahr 2022 noch nicht das Vor-Pandemie-Niveau beim Umsatz erreichen. Demgegenüber kam es in der Film- und in der Werbewirtschaft zu Umsatzsteigerungen von über sieben Prozent zwischen 2020 und 2021, und der Software-/Games-Markt ist nicht nur der größte Teilmarkt der Kultur- und Kreativwirtschaft, sondern auch der Teilmarkt mit der besten Umsatzentwicklung während der Pandemie. Ansonsten sind neben dem Software-/Games-Markt die Architektur und der Buchmarkt die einzigen Teilmärkte, die im Jahr 2022 höhere Umsätze als im Jahr 2019 aufwiesen.
Mit welchen Industriezweigen ist die Bruttowertschöpfung der Kultur- und Kreativbranche zu vergleichen?
Die Kultur- und Kreativwirtschaft war im Jahr 2021 mit einer Bruttowertschöpfung von 103,7 Milliarden Euro etwas größer als der Maschinenbau (101 Milliarden Euro) und deutlich vor Wirtschaftszweigen wie den Finanzdienstleistungen (73,1 Milliarden Euro), der Energieversorgung (64,0 Milliarden Euro) oder der Chemischen Industrie (58,8 Milliarden Euro).
Wie hoch ist der Bevölkerungsanteil derjenigen, die in der Kultur- und Kreativbranche tätig sind?
Insgesamt waren in der Kultur- und Kreativbranche im Jahr 2021 rund 1,81 Millionen Personen beschäftigt. Wenn wir nur auf die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten schauen, dann waren dort im Jahr 2021etwas mehr als eine Million Personen beschäftigt, was knapp drei Prozent der Gesamtbeschäftigung in Deutschland entspricht. Das ist im Niveau mit der Automobilindustrie vergleichbar.
Welche Trends sind erkennbar?
Die Pandemie hat tiefe Einschnitte bei den Teilmärkten hinterlassen, die vom Präsenzerlebnis leben, wie die Darstellenden Künste, Konzertveranstaltungen, aber auch Kinos als Teil der Filmwirtschaft. Hier ist die Erholung noch eher langsam. Hinzu treten die tiefen strukturellen Verschiebungen in der Rundfunk- und Pressewirtschaft, wo die Digitalisierung zu starken Veränderungen führt.
Welche Erkenntnis hat Sie am meisten überrascht?
Es ist immer wieder überraschend, wie vielfältig die Kultur- und Kreativwirtschaft ist und wie alle großen wirtschaftlichen Trends sich auch hier abbilden. Ein paar Beispiele: Der Bauboom und hohe Baukosten bei der Architektur, die Papierkrise und Lieferkettenprobleme in der Verlagswirtschaft oder auch die Energiekosten mit ihren Folgen für Museen und Theater.
Worin bestand Ihre Aufgabe und wie verläuft die Zusammenarbeit mit Goldmedia und der Hamburg Media School?
Unser Dreierkonsortium stimmt sich zu Beginn der jährlichen Berichterstellung über die jeweilige Arbeitsteilung ab, um dann dem Auftraggeber, das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, möglichst aktuelle Schwerpunktthemen vorzuschlagen. Ich habe mich dieses Mal vorrangig um das Schwerpunktthema des diesjährigen Berichts gekümmert: die aktuelle Situation der Fachkräfteverfügbarkeit in der Kultur- und Kreativwirtschaft. Hierzu konnte ich auf einer Abgrenzung der „kreativen Berufe“ aufbauen, die wir vor zwei Jahren erstmals in dieser Form erstellt hatten. Diese Abgrenzung setzt nicht an den Branchen an, wo die Menschen arbeiten, sondern an den Berufen und Qualifikationen. Entwicklerinnen und Entwickler von Online-Games arbeiten beispielsweise in Unternehmensberatungen, fehlen dann aber in der Kultur- und Kreativwirtschaft. Daher habe ich mir die Knappheit bei den „kreativen Berufen“ angesehen.
Wie haben Sie die Zahlen erhoben?
Die Zahlen werden von der Bundesagentur für Arbeit erhoben. Um eine Knappheit festzustellen, haben wir eine Indizienkette erstellt. Knapp sind Fachkräfte in einem kreativen Beruf,
- wenn viele offene Stellen im Vergleich zu den bereits Beschäftigten gemeldet werden,
- wenn wenige Arbeitslose in den Bereichen offener Stellen gemeldet sind, und
- wenn die Einkommen stark angestiegen sind.
Wie äußert sich der Fachkräftemangel?
Besonders stark zeigt sich der Fachkräftemangel in Bereichen des kreativen Handwerks, der Architektur und dem Modellbau sowie in allen Berufen der Software- und IT-Branchen. Hier steht die Kultur- und Kreativwirtschaft in starkem Wettbewerb um diese Fachkräfte mit anderen Branchen und muss teilweise Umsätze und Aufträge mangels Kapazitäten stornieren.
Da wir uns auf die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten konzentriert haben, werden Knappheiten bei Selbstständigen im Bericht nicht angesprochen. Allerdings zeigen Aussagen beispielsweise aus der Veranstaltungswirtschaft, dass Konzerte und Tourneen teilweise aufgrund fehlenden Personals ausfallen mussten. Auch im Bereich der Darstellenden Künste, der Musik- und Filmwirtschaft zeigen sich die Knappheiten insbesondere bei den Selbstständigen.
Wie begegnet die Branche diesem Problem?
Wichtig sind hierbei Weiterbildung und Qualifizierung, um beispielsweise auch Übergänge aus weniger nachgefragten Berufsfeldern zu ermöglichen. Die Weiterbildungs- und Fachkräftestrategien der Bundesregierung, einschließlich der Reformen in der Zuwanderung, gehen in die richtige Richtung, werden aber kaum kurzfristige Entlastungen schaffen können. Wesentlich werden auch Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen sein, um die Attraktivität der Kultur- und Kreativwirtschaft für die Fachkräfte zu erhöhen.
Haben die finanziellen Unterstützungen der Bundesregierung während der Pandemiejahre den Kulturschaffenden und Kreativen dieser Branche nachhaltig geholfen?
Die finanziellen Unterstützungen haben Existenzen während der unmittelbaren Krisen gerettet und verhindert, dass Strukturen komplett wegbrechen. Aber es ging dabei nur um kurzfristige Hilfen.
Sind weitere Unterstützungen vonnöten?
Zum einen reißen die Krisen für die Kultur- und Kreativwirtschaft nicht ab, da wir nach der Pandemie direkt in die steigenden Energiekosten und Inflationsprozesse geraten sind und auch der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine seine Auswirkungen in der Kultur- und Kreativwirtschaft zeigt. Zum anderen ist immer wieder zu prüfen, inwieweit strukturell die Bedingungen für Kreativbranchen verbessert werden können, wenn wir beispielsweise nur an die Herausforderungen der hohen Mieten für die freie Szene in vielen deutschen Großstädten denken.
Haben Sie selbst eine kreative Ader?
Ich denke schon, dass auch für das Aufspüren spannender Forschungsfragen eine Menge Kreativität vonnöten ist. Aber ich wünschte mir, über mehr Kreativität bei der Veranschaulichung unserer Forschungsergebnisse zu verfügen. Da können wir in der Forschung immer noch eine Menge aus der Kultur- und Kreativwirtschaft lernen.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Katrin Haase.
Hintergrund
Das Monitoring wird seit 2009 jährlich von der Bundesregierung veröffentlicht. Damit soll die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung der Branche transparent gemacht werden. Die Daten der Studie stammen von öffentlich zugänglichen Quellen wie dem Statistischen Bundesamt sowie der Bundesagentur für Arbeit.