Eine wesentliche Erkenntnis der Untersuchung ist der Nachweis, dass eine Vereinheitlichung des Prozesses keine Prozesskosten im indirekten Einkauf reduziert – tendenziell sogar zu einer Erhöhung führt. Jede Bestellung, die innerhalb eines einheitlichen, manuellen Beschaffungsprozesses durchgeführt wird, verursacht bei den befragten Unternehmen im Durchschnitt 115 Euro – mehr als eine Bestellung im Szenario „kein einheitlicher Prozess“ (95 Euro) und vor allem signifikant mehr gegenüber dem digitalen Prozess (67 Euro).
Dies bedeutet nicht, dass die Formalisierung des Beschaffungsprozesses an sich zu hinterfragen ist. Denn die Studie zeigt anhand der Maverick-Buying-Quote auch, dass die Prozessqualität durch eine Vereinheitlichung steigt. Nur durch einen einheitlichen Prozess lassen sich Bedarfe bündeln oder Compliance-Probleme, Fehler und Durchlaufzeiten (von der Bedarfsanforderung bis zur Verfügbarkeit) reduzieren. Dies schlägt sich aber offensichtlich in einer teilweisen Erhöhung der Bearbeitungszeiten in den einzelnen Schritten (z.B. durch erhöhte Dokumentations- oder Prüferfordernisse) nieder.
Es bedeutet aber, dass nur durch einen digitalen Prozess sowohl die Kosten als auch Qualität gleichzeitig positiv beeinflusst werden. Auf der einen Seite stehen immense Einsparungen in den Prozesskosten – um über 40% gegenüber dem einheitlichen, manuellen Prozess – auf der anderen Seite ist auch die Maverick-Buying-Quote – als Indikator für die Prozessqualität – in diesem Szenario am geringsten. Dennoch ist die Vereinheitlichung als „Zwischenstufe“ in der Transformation vom Szenario „nicht-einheitlicher Prozess“ hin zu einem digitalen Prozess häufig notwendig und anzuraten, um die Organisation nicht zu überfordern.
Es muss aber unterstrichen werden, dass Prozesskosteneinsparungen zunächst eine fiktive – nicht ergebniswirksame – Größe darstellen. Was gewonnen wird, ist zunächst Arbeitszeit. Hier zeigt die Untersuchung, dass sowohl die Bedarfsanforderer als auch der Einkauf die mit Abstand größten Einsparungen generieren können – und auch die Logistik und Buchhaltung nicht schlechter gestellt werden bzw. auch profitieren. Dies ist zunächst ein wichtiges Argument, um die Akzeptanz für einem digitalen Prozess insbesondere auch bei den Bedarfsanforderern zu schaffen. Sie werden zeitlich dadurch nachweisbar entlastet. Im Einkauf bedeutet dies freie Ressourcen, um sich auf wertschöpfende Tätigkeiten konzentrieren zu können. Dieser nicht dem digitalen Prozess direkt zuordenbare Ergebnisbeitrag lässt sich in der Praxis allerdings schwierig messen. In der Studie wird jedoch z.B. deutlich, dass mehr Zeit für die Lieferantenauswahl genutzt wird – ein Indiz für diese höhere Wertschöpfung.
Nach wie vor ist auch ein „digital divide“ zwischen kleinen und großen Unternehmen offenkundig. Während große Unternehmen zu fast drei Viertel einen digitalen Einkaufsprozess etabliert haben, schaffen dies bei den mittelgroßen Unternehmen nur knapp 40 %. Kleinst- und Kleinunternehmen fall mit knapp 30 % bzw. 20 % noch deutlicher ab.
Durch die Studie konnte im deutschsprachigen Raum erstmalig eine breite Erhebung realisiert werden, die bis auf Prozessschrittebene Zeiten und Kosten misst. Dadurch konnten die Potenzialunterschiede in Prozessen mit unterschiedlichem Vereinheitlichungs- und Digitalisierungsgrad detailliert dargestellt werden. Entscheidungsträgern steht so ein Benchmark zur Verfügung, die Performance der unternehmensindividuellen Prozesse zu analysieren und Optimierungsmaßnahmen zu identifizieren. Und nicht zuletzt regt die Studie hoffentlich dazu an, sich mit den Kennzahlen im indirekten Einkauf und der realen Komplexität des gesamten Beschaffungsprozesses weiter intensiv auseinanderzusetzen, um für das eigene Unternehmen den im Zeitalter der Digitalisierung adäquaten Purchase-to-Pay-Prozess zu implementieren.